Sophia Beli
Autorin

Vergebung

Ich denke, dass es eine Notwenigkeit ist, Menschen zu vergeben. Es ist ein Akt, der meiner Meinung nach wichtig ist, um die Vergangenheit loszulassen. Aber was machen, wenn die Wunde noch zu frisch ist und wir einfach noch zu viel Groll in uns tragen?


Bewusstsein

Als ich mich zum ersten Mal mit Vergebung auseinandergesetzt habe, beschwerte sich sofort mein Ego. Es rief laut: »Wieso soll ich das denn vergeben? XY hat mich damit verletzt.«

Da verstand ich noch nicht, dass genau das der Knackpunkt ist. Dieser Schmerz, der noch immer in uns wütet, obwohl das Erlebnis bereits weit in der Vergangenheit liegt.

Aber wenn man darüber ernsthaft nachdenkt, fragt man sich irgendwann, ob das wirklich sinnvoll ist. Denn immer, wenn man an diesen Zeitpunkt zurückdenkt, konfrontiert man sich selbst mit den Gefühlen, die man dabei empfunden hat. Dieser Schmerz über die Worte oder Handlungen, der sofort wieder die alten Wunden aufreißt.

Grausam.

Dieses Wort trifft es. Denn wir behandeln uns grausam.

Wenn wir eine andere Person immer und immer wieder mit furchtbaren Gefühlen konfrontieren würden, würde man von Folter sprechen. So kann man schon auf die Idee kommen, dass wir uns mit diesem Vorgehen regelrecht foltern, ohne sogar darüber nachzudenken.

Warum auch?

Bisher hat uns niemand erklärt, dass es auch anders geht.

Haben wir also nur den Mut, eine Veränderung anzustreben, wenn genug Menschen vor uns diesen Weg bestritten haben? Wieso werden wir nicht auch mal zum  Pionier und sind die Person für unsere Familie und Freunde?

Was also tun, damit du deine Wunden erkennst?

Ich journal auf, schreibe sozusagen Tagebuch. Dabei bewerte ich nicht, was ich aufschreibe, lasse die Worte einfach zu Papier fließen und erkenne dabei, an welchen Stellen ich Reibungspunkte habe, die mir womöglich gar nicht in der Tiefe bewusst waren.

Denn oft ist das Leben so laut und schnell, dass wir keine Zeit finden, innezuhalten und einfach weitermachen. Aber ist das auch richtig? Was ist wenn die aktuelle Verletzung eine viel tiefere Wunde hinterlassen hat, als wir bei unserem oberflächlichen Blick bemerken?


Schöpfer oder Opfer?

Jeder kennt das Gefühl, wenn das Herz zu stocken scheint. Der Augenblick, wenn man glaubt, dass es in zwei Stücke reißt. Oder die Zeit, wenn es uns kaum gelingt, morgens das Bett zu verlassen. Aber auch die Zeit, wenn Wut beinahe das einzige ist, das man empfindet und man minütlich über die Ungerechtigkeit des Lebens schimpfen mag.

Sind die Verletzungen noch frisch, fällt es uns vielleicht schwerer, der Person, dem Leben oder den Ereignissen zu verzeihen.

Für mich liegt es darin begründet, weil man noch mitten im Porzess im Annahme-Prozess ist. Denn das gehört zur Verarbeitung dazu. Solange wir noch leugnen, versuchen wir die Realität allein mit bloßer Willenskraft umgestalten. Aber jeder weiß, dass das unmöglich ist.

Mir hilft es in der Zeit immer, wenn ich meinen Standpunkt ändere. Nicht mehr auf der Position des Opfers stehen bleibe. Denn Opfern wird etwas angetan, sie sind anderen ausgeliefert und können nur hoffen, dass man sie jetzt besser behandelt.

Das klingt womöglich hart. Ist es aber eigentlich nicht.

Sobald wir nämlich anerkennen, dass wir unser Leben selbst gestalten, ist das, als würde jemand einen Schleier von unseren Augen nehmen.

Erst beim zweiten Blick erkennt man dann, wie mächtig man selbst ist.

Klar, die andere Person kann Mist bauen und uns mit ihrem Verhalten verletzen, aber wir sind immer in der Lage, unseren Blickwinkel zu verändern und nicht nur zu jammern, sondern uns auch mal zu fragen, wozu das vielleicht gut ist.

Klar, das ist nicht leicht, solange die Wunde noch blutet. Aber mit ein bisschen Übung gelingt es uns immer leichter, nach dem Guten für uns zu suchen. Denn alle Geschehnisse haben das. Auch wenn wir es zunächst nicht glauben. Ich bin fest davon überzeugt, dass es so ist.

Allerdings bedarf es eine gehörige Portion Mut, um das anzuerkennen. Denn wer gibt gern zu, dass man sein Leben bisher als Opfer verbracht hat?

Niemand.

Hier meine Bitte: Werde zum Schöpfer deines Lebens, wenn du es nicht schon bist. Darin liegt so viel Macht und unendlich viel Kraft. Denn das Leben ist niemals gegen dich und wenn du  noch einmal das gleiche Problem im anderen Gewand bekommst, ist das vielleicht eine Prüfung, ob du deine letzte Lektion gelernt hast.

Rituale

Ich bin mir also meiner Verletzung bewusst und befinde mich auch nicht mehr in der Opferrolle.

Hurra!

Oder?

Schon, aber jetzt kommt der Teil, bei dem wir beginnen dürfen zu vergeben.

Ich nutze dafür Hoʻoponopono. Das ist ein hawaiianisches Vergebungsritual, das mich zu Beginn meiner Vergebungsreise ziemlich in den Widerstand gezwungen hat. Denn es besteht aus vier Sätzen, die wie folgt heißen:

  1. Es tut mir leid
  2. Bitte verzeih mir
  3. Ich liebe dich
  4. Danke

Erkennst du den Grund, wieso sich alles in mir sträubte?

Mein erster Gedanke: Wieso sollte ich mich entschuldigen? Ich wurde verletzt!

Darauf folgte direkt: Und entschuldigen muss ich mich schon einmal überhaupt nicht. Ich habe nichts falsch gemacht.

Heute muss ich über die Gedanken lächeln. Mittlerweile habe ich den Sinn hinter den Worten verstanden – nicht nur vom Kopf, auch vom Herzen.

Denn wir entschudligen uns nicht bei der anderen Person. Wir bitten sie auch nicht um Verzeihung.

Vielmehr bei unserer Seele.

Wenn man sich erst einmal auf das Gedankenspiel einlässt, erkennt man die Tiefe dahinter. Daran schließt auch wieder die Frage an: Möchte ich Opfer oder Schöpfer sein?

Ich habe für mich beschlossen, dass ich nicht mehr anderen die Schuld für meinen Schmerz geben möchte. Es ist mein Leben. Ich entscheide, wer mich verletzen darf und wie lang ich an der Verletzung festhalte. Damit hole ich mir die Macht zurück.

Heute setze ich mich auf mein Meditationskissen, schließe die Augen und vollziehe das Ritual mit einem leichteren Herzen. Denn ich möchte mein Dasein auf Erden nicht in Groll verbringen. Aber das bedeutet eben auch, dass ich Grenzen setze und mich von manchen Menschen distanziere, die mich verletzen. Niemals leichtfertig und auch nicht, weil ich nicht wirklich verzeihe.

Ich tue das aus Liebe. Liebe für mir selbst.

Was könnte es schöneres geben?

Hast du eine andere Methode oder findest du es übertrieben, anderen zu vergeben? Schreib mir gern deine Gedanken zu meinem Blogbeitrag.

zurück zum Glitzer-Blog

Könntest du all die Taten vergeben, die Alaya in "Die Einsamkeit der Wölfin" angetan wurden?

Hier geht es zum Buch